Ausstieg aus dem Crash

Die Wirtschaftlichkeit der Wirtschaft


In der kapitalistischen Marktwirtschaft als Gesellschaftsform ist Kapital das realsymbolische Äquivalent von Syntropie. Da Geld und Kapital durch den Wertschöpfungsprozess vor allem im imaginären Bereich unbegrenzt vermehrt werden können, wachsen damit gleichzeitig die (in Geld verbrieften) Ansprüche an die realen Ressourcen.

Die Kostenrechnung der Marktwirtschaft drückt sich in Geld aus. Wirtschaftlich ist jeder Vorgang, bei dem der Ertrag in Geld den Aufwand in Geld übersteigt. Die dahinterstehenden realen Vorgänge werden von ihrer symbolischen Repräsentation Geld verdeckt und verschleiert. Die Rechnungseinheit Euro, $, Yen oder Pfund sagt nichts darüber aus, was sie an realen Ressourcen repäsentiert. Daher kann in der Geldwirtschaft wirtschaftlich sein, was in der Natur und in der Agrarwirtschaft völlig unökonomisch wäre:

- der Input der sieben- bis zehnfachen Menge an Energie in der industriellen Landwirtschaft, um die einfache Energiemenge im Sinn von Nahrungskalorien zu erzeugen;

- die Zerstörung von unschätzbarem Naturvermögen wie tropischen Regenwäldern, um fürs Überleben unwichtige Gebrauchsgegenstände wie Essstäbchen, Zeitungspapier oder Bauschalungen herzustellen;

- die Zerstörung von Mangrovenwäldern, die die Brutplätze und Nahrungsquelle für die Fische darstellen, die den dort lebenden Menschen als Nahrung dienen, für die Erzeugung von Garnelen, die auf fernen Märkten den Gaumen von Menschen kitzeln sollen, deren Gesundheit nicht von zu wenig, sondern von zu viel Essen bedroht ist.

Der Wirtschaftlichkeitsbegriff der Geldwirtschaft ist nicht nur abartig, lebensfeindlich und skandalös, wie man an tausend Beispielen aus dem täglichen Leben, bei denen wir uns offenbar überhaupt nichts mehr denken, erkennen kann (s. L311), sondern er ist vor allen Dingen von höchst begrenzter Haltbarkeit. Die (als kostenlos eingesetzten) Faktoren, mit denen er seine Kostenrechnung fälscht, sind nur in begrenzter Menge vorhanden bzw. nur beschränkt regenerierbar. Das heißt, dass die Wirtschaftsform, die auf dieser Kostenrechnung beruht, nur ein Exzess von beschränkter Dauer sein kann, der wie eine Algenblüte in sich zusammenbricht, wenn er von den natürlichen Grenzen eingeholt wird.

In der evolutionär entstandenen und ausgetesteten Natur gibt es keine Exzesse. Sie können nur entstehen in einer Kraftmeier-Wirtschaft, in der man mit einem Handgriff, mit einem Knopfdruck, mit einem Fuß auf dem Gaspedal den Jahres-Energie-Erwerb von riesigen Urwaldbäumen in einer Sekunde verpulvern kann (genauer: in sechs Sekunden - auf hundert). Man sollte doch einmal die Spray-Künstler, die ganze S-Bahn-Wagons verzieren, mit fingergepumpten Farbdosen sprühen lassen. Sie kämen wohl in einer Nacht kaum über eine Tür hinaus. Oder wenn man die Autofahrer ihr Gefährt mit Pedalen vorantreiben ließe, oder die Fernflieger zwingen würde, ihr Flugzeug mit flügelschlagenden Armbewegungen in die Lüfte zu erheben - die Exzesse hätten ein sofortiges Ende.

Die kapitalistische Marktwirtschaft, die den Stoffwechsel der Industriegesellschaft mit der Natur steuert, ist ein gesellschaftliches Konstrukt für eine beispiellos erfolgreiche Ausbeutung und Versklavung der physischen Natur (einschließlich großer Menschengruppen, wo und wenn dies nicht durch Religion, Tradition oder Politik verhindert wird). Das Kapital, das eine Rendite bringt, und sein Spiegelbild, das Geld, das sich verzinst, sind das adäquate und informationell notwendige symbolische Korrelat des Erwerbs von Syntropie und des Einsatzes dieser in Besitz genommenen Syntropie zum Erwerb weiterer Syntropie. Die "Magie des Kapitals" ergibt sich im Vergleich zu einer seriösen Buchhaltung daraus, dass es nicht nur das buchhalterische Symbol für eingesäckelte Syntropie ist, sondern gleichzeitig die Fähigkeit besitzt, wenn man es zweckmäßig investiert, zusätzliche Syntropie für seinen Besitzer anzuschaffen und damit sich selbst in den Büchern zu vermehren.

Es liegt auf der Hand, dass ein Steuerungssystem dieser Art für eine menschliche Kultur, die sich mit Leidenschaft daranmachte, die Welt zu erobern, sich untertan zu machen, geradezu brillant war. Nicht umsonst erlebte es seine erste große Blüte in der Renaissance, seine zweite in der Hochzeit der Industrialisierung, gegen Ende des 19. Jahrhunderts, und seine dritte in dem explosiven Nachspiel der Gegenwart, als es schon längst im Verhältnis zur realen Welt zu einer offensichtlichen, von den Nachdenklichen mit Entsetzen, von einer wachsenden Mehrheit mit dumpfem Unbehagen und reaktionärem Selbstverwirklichungspathos wahrgenommenen gigantischen Fehlsteuerung geworden war und im fahlen Licht seiner Götterdämmerung seinen Höhepunkt erlebte.




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